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Der E-Insider

Essay vom März 2000


Essay vom März 2000 über die Risiken des Online-Bankings

Der E-Insider

Mit geschickter Datenauswertung könnten Online-Broker das Wissen ihrer Kunden selbst nutzen

Es geht um Geld - allerdings nicht das in Form von Scheinen und Münzen. Modernes Geld lebt längst als digitale Bits auf den Netzen und Datenträgern der Banken, zusammen mit den Informationen, wem es gehört und wann es wohin transferiert wurde. Das hört sich, außer vielleicht für Steuerfahnder, nicht sehr interessant an: Kontoauszüge mit Mietzahlungen oder Gehaltsüberweisungen bringen dem professionellen Datensammler wenig.

Ganz anders sieht es aus, wenn Investoren mit Aktien handeln. Ein guter Investor entscheidet sich erst nach ausführlicher Recherche und Überlegung. Alle seine Informationen und Erfahrungen fließen in den Aktienkauf oder -Verkauf ein. Daher stellen seine Investitionsentscheidungen eine kompakte, "veredelte" Form seines Wissens dar.

Daß es profitabel ist zu wissen, wer wann welche Aktien kauft, ist nicht neu. Immer wieder gibt es Fälle des verbotenen "Frontrunning". Bei diesem "Vorkaufen" nützen Händler ihr Wissen um einen großen oder sehr viele kleine Aktienaufträge aus, indem sie kurz vorher auf eigene Rechnung mit den Aktien handeln. Da dies den Auftraggebern schadet, geben sich die Banken und Aufsichtsbehörden viel Mühe, es zu verhindern.

Wirklich attraktiv für die Banken ist eine neue Variante. Sie ist vermutlich nur in den Ländern illegal, die wie Deutschland ausgeprägte Datenschutzgesetze haben. Es geht es um systematische, breit angelegte statistische Analysen des Kaufverhaltens einer möglichst großen Zahl von Investoren. Die Möglichkeiten für dieses "Data Mining" sind enorm.

Mit Data Mining lassen sich die Reaktionen der Online-Investoren minutengenau mit Schlüsselereignissen auf Medienkanälen wie TV-Finanznachrichten oder Webmeldungen korrelieren. Wo die Finanztechniker vor zehn Jahren nur die Bewegung eines Aktienkurses sahen, könnten jetzt die Data Mining-Spezialisten Nachfrage- und Angebotsströmungen im Detail identifizieren - wie bei der Analyse einer Bundestagswahl. Solche Erkenntnisse lassen sich extrem innovativ und gleichzeitig subtil nutzen.

Dafür könnten große Banken auf detaillierte Handelshistorien von hunderttausenden Investoren zurückgreifen. Speziell die Daten der Online-Investoren sind interessant: Sie handeln viel und reagieren oft in Echtzeit auf die Informationen, die über das Internet fließen. Durch diese Informationsdemokratie können Online-Investoren genau so gut informiert sein wie die besten Großinvestoren. Anders als früher, wo normale Aktienkäufer nur mit der Zeitung vom Vortag gegen die Profis antreten konnten, herrscht heute im Internet Waffengleichheit.

Das ist einer der Gründe, warum es unter den Online-Investoren nicht nur aus Zufall Gewinner gibt. Manche gewinnen durch eine erfolgreiche Mischung aus Analytik und Intuition. Andere lassen bewußt oder unbewußt Insiderwissen über die Unternehmen, in denen sie arbeiten, in ihre Aktienstrategie einfließen.

Data Mining-Spezialisten können solche Gewinner auch in großen Datenseen zügig und ohne Probleme finden. Dabei geht es nicht darum, einer Menge von unkontrollierten Daytradern hinterzujagen, sondern diejenigen Individuen zu finden, die mehr als nur Glück haben. Die Suchverfahren dafür sind simpel, außerdem kann man sich bei einer Statistik über hunderttausend Menschen einige Fehlschläge leisten. Der Clou dabei ist, daß die individuellen Aufträge der Gewinner so klein sind, daß sie den Markt nicht direkt bewegen. Also reicht es, die Aufträge nachzuahmen, um von den Informations- oder Analysevorteilen der Investoren zu profitieren.

Dieses "Tracking" läßt sich nicht nur vollautomatisieren, sondern ist vermutlich halbwegs legal und kann sehr unauffällig gemacht werden. Ein Fondsmanager, der einen Großauftrag allein vergibt, blickt mit Argusaugen auf verdächtige Kursausschläge und stellt seine Bank im Zweifel zur Rede. Dagegen weiß der einzelne Investor nicht, ob er Teil einer Kaufwelle war, auf welcher der Bankcomputer vielleicht noch mitgesurft ist.

In Verbindung mit personenbezogenen Daten wird Tracking noch aggressiver nutzbar. Man könnte zum Beispiel die Angestellten einer bestimmten Firma heraussuchen und deren Handel mit Aktien genau dieser Firma beobachten. Firmenmitarbeiter wissen normalerweise am besten über ihre Firma Bescheid. Außerdem können sie auf Veränderungen wie z.B. Vertragsabschlüsse oder neue Produkte sofort reagieren, in dem sie sich am Arbeitsplatz über das Netz bei ihrem Online-Broker einloggen und an der Börse handeln. Hier würde man mit Tracking zum bestinformierten elektronischen Insider.

Deshalb sind Investorendaten allgemein, aber besonders die der Online-Banken, ein Schatz, der danach schreit, im Verborgenen gehoben zu werden. Ob dies bereits geschehen ist, wissen wir nicht, doch die verlockende Möglichkeit existiert. Also kann sich ein kluger Investor, wenn er die "Enter"-Taste drückt und sich über seine richtige Entscheidung freut, nicht mehr sicher sein, daß nicht irgendwo jemand anderes vor einem Bildschirm sitzt und lächelt.



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